„Wer nichts wird,
wird Wirt,
und wem das nicht ist gelungen,
der macht in Versicherungen.“
Nichts beschreibt treffender das Imagedefizit deutscher Außendienstmitarbeiter.
Nichts beschreibt deutlicher das Theoriedefizit der Außendiensttätigkeit.
Nichts kennzeichnet bissiger das laienhafte Verständnis von Vertriebsarbeit.
Nichts ist ungerechter gegenüber den im Außendienst tätigen Kollegen.
Nichts ist gleichzeitig weiter weg von der Realität und doch so dicht bei ihr.
Allen Beschwörungen, allen „Coaching-Briefen“, allen Seminarbemühungen und Hochglanzbroschüren zum Trotz: Verkaufstätigkeit hat nach wie vor:
• ein Imageproblem
• ein Professionalitätsproblem
• ein Rekrutierungsproblem
Wie kommt es dazu? Wir möchten dies im Einzelnen begründen und die Situation analysieren.
Ein Imageproblem
Sichtbar wird das Imageproblem für alle schon auf den Visitenkarten: Da heißt es nicht Verkäufer oder Fachverkäufer oder Junior- oder Seniorverkäufer (auch hierbei könnte man sich ja viele verschiedene kreative Bezeichnungen ausdenken), nein, es heißt Kundenberater oder Kundenbetreuer oder Repräsentant; der kreativen
Vielfalt sind hier kaum Grenzen gesetzt. Selbst Außendienstberater klingt offenbar besser als Verkäufer. Die tatsächliche Tätigkeit, nämlich das „Verkaufen“, wird verschämt verschwiegen. Dies gilt im Übrigen für Verkäufer der meisten Branchen, insbesondere in der Markenartikelindustrie, in der Versicherungswirtschaft und in der Finanzdienstleistung, kaum in der Investitionsgüterindustrie. Was spricht eigentlich dagegen, Menschen, die Waren oder Dienstleistungen verkaufen, auch tatsächlich so zu bezeichnen, als „Verkäufer“ oder „Verkäuferin“. Doch mit diesem Begriff werden nur diejenigen bezeichnet, die im Innendienst, am Tresen oder in einem Ladengeschäft verkaufen, sehr selten aber im Außendienst tätige Verkäufer. In den USA nennen sich solche Leute stolz „salesmen“.
Dem Beruf des Verkäufers haftet bei uns offenbar ein unspezifischer, zunächst nicht genau bestimmbarer Makel an. Dies hat unseres Erachtens damit zu tun, dass in der Bevölkerung ein bestimmter Verkäufertypus als „schlitzohrig“, als „unseriös“, als „grenzverletzend“ oder als „Störenfried“ empfunden wird. Begriffe wie
„Klinkenputzer“ oder „Drückerkolonne“, die in diesem Zusammenhang oft genannt werden, belegen dies. Ein unvorbereiteter Anruf, ein nicht abgestimmter Besuch oder ein amtlich erscheinendes Werbeschreiben werden von vielen Menschen als aufdringlich empfunden – selbst dann, wenn diese Menschen mit dem betreffenden Unternehmen bereits Kontakt hatten (z.B. als Kunde einer Bank, einer Versicherung oder eines Telefonproviders). Und dies selbst dann, wenn auf früher ausgefüllten Formularen die grundsätzliche Einwilligung zu solcher Art des Verkaufens gegeben worden ist. Letzteres betrifft eben nur die Legalität, nicht die empfundene Legitimität solchen Vorgehens.
Beispiele dafür gibt es genug:
Anfang der 90iger Jahre fühlten sich viele Bürger der neuen Bundesländer von Versiche-rungsverkäufern „über den Tisch gezogen“, weil sie ihnen Versicherungen verkauft und „aufgeschwatzt“ hatten, die völlig an den echten Bedürfnissen vorbeigingen.
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise der letzten 2 Jahre wurde offensichtlich, dass viele Bankberater ihren Kunden risikoreiche Anlageformen verkauft hatten, nur weil die Verkäufer im Rahmen von Zielvereinbarungen dafür Erfolgsprämien erhalten haben. Offenbar war es für die Unternehmen besonders wichtig, gerade bestimmte Anlageformen zu verkaufen. Eine Risikoaufklärung und eine Information über das Eigeninteresse des Bankberaters an einem Verkauf hat es in vielen Fällen nicht gegeben.
Bei den Krankenkassen greift eine – legalisierte – Unsitte um sich, indem den Kunden – oft-mals an deren eigentlichen Bedürfnissen vorbei – z.B. Zusatzversicherungen, insbesondere Auslandswahltarife verkauft werden, weil die Kundenberater auch hier im Rahmen von Zielvereinbarungen Erfolgsprämien für jede einzelne von ihnen vermittelte Zusatzversicherung erhalten. Dass der Abschluss solcher Zusatzversicherungen mit einer 3-jährigen Bleibeverpflichtung bei der Krankenkasse verbunden ist, innerhalb der keine Kündigung – gerade auch nicht bei der Erhebung von Zusatzbeiträgen – besteht, ist den wenigstens Kunden bewusst.
In allen Fällen geht es darum, einseitig die Interessen des jeweiligen Unternehmens und des individuellen Verkäufers zu befriedigen. Die echten Bedürfnisse der Kunden spielen nur eine untergeordnete Rolle. Durch solche Erfahrungen hat sich offensichtlich bei vielen Menschen das oben erwähnte Image über Verkäufer gebildet. Außerdem geht ein solches Verhalten stark gegen gefestigte innere Werte, so dass ein solches Image auch nicht leicht auflösbar ist. Und dann führt es dazu, dass viele Menschen eine solche Art des Verkaufens – und daraus folgern: verkaufen überhaupt – für sich als Arbeitsmöglichkeit ablehnen.
Zum Imageproblem gehört auch, dass es für „Verkäufer im Außendienst“, das ist ja offenbar mit dem Wort „Vertrieb“ gemeint, keinen offiziellen Lehr- oder Ausbildungsberuf gibt. Selbst die Versicherungsberater in der privaten Versicherung – ebenso wenig wie deren interne Ausbildungsgänge – erfüllen dies nicht. Verkäufer kann (eigentlich) jeder werden – so jedenfalls die landläufige Meinung. Das ist schon schlimm genug. Schlimmer noch ist jedoch, dass es häufig auch die Führungskräfte von Verkäufern bis hin zu Regionaldirektoren oder Geschäftsführern so sehen. Anders ist es nicht zu erklären, wenn es immer wieder Versuche gibt, alle Mitarbeiter eines Unternehmens zu potentiellen Verkäufern „machen“ zu wollen, ihnen jedenfalls eine solche Aufgabe häufig genug zwangsweise aufzudrücken und sie – wie heißt es so schön – „für den Außendienst zu motivieren“. Im „Coaching-Brief-Verkauf“ von November 2009 heißt es – zumindest in der Headline – dazu: „Trend 2010: Das ganze Un-ternehmen wird zur Vertriebsabteilung.“
Tatsächlich sind gute Verkäufer unverzichtbar und – leider – rar. Sie sollten zur Elite eines Unternehmens gehören, sorgen sie doch in der Regel für Umsatz, also für die Mittel, aus denen alles andere bezahlt wird.
Das Image von Verkäufern aber hinkt der tatsächlichen Bedeutung hinterher.
(… wird fortgesetzt)
Der erste Teil des Vertriebs-Artikels ist ein vielversprechender, neugierig machender Anfang. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung. Ich kenne den Trend, Menschen, die weder die Motivation noch die Qualifikation dazu besitzen, in den Außendienst zu drängen, schon aus den 80er Jahren. Diese Methode ging schief. Die gegenwärtig erneut aufkommende Mode, nahezu jeden Beschäftigten eines Dienstleistungsunternehmens unter Androhung von Sanktionen im Falle der Weigerung auf die Vertriebsschiene zu drängen (z.B.: „Wenn Sie bei uns noch mal weiterkommen wollen, müssen Sie in den Außendienst gehen!“ oder noch subtiler: „Wenn Sie nach bestandener Ausbildungsprüfung übernommen werden wollen, dann nur im Vertrieb!“), wird ebenso zum Flop mutieren. Danke für Ihre klaren Worte! Ihre Personalpolitik-Seite gefällt mir sehr gut.