Brauchen wir wieder „richtige“ Führungskräfte? Ein Statement zu Führung im Wandel

Unter dem Titel „Führung im Wandel“ laufen zurzeit diverse Berichte in Zeitungen, Zeitschriften, Chat-Foren, Buchveröffentlichungen. Als ob dies etwas Neues sei. Tatsache ist: Führung befindet sich immer im Wandel. Wenn wir uns Veröffentlichungen aus den letzten 50 Jahren zu dem Thema „Führung“  anschauen (soweit dies für Einzelne überhaupt möglich ist), stellen wir fest, dass das einzig Kontinuierliche – auch beim Thema Führung – der Wandel ist. Wie sonst ist es zu erklären, dass es immer noch keine einheitliche wissenschaftliche Meinung – von „Theorie“ ganz zu schweigen – zu diesem Thema gibt. Schon in der Antike wurde das Thema kontrovers diskutiert. Das hat sich bis heute nicht geändert. Häufig erinnert die Vielzahl der unterschiedlichen Ansätze dann auch an eine gewisse Beliebigkeit. Vielleicht ist das aber auch erklärbar.

Wann immer wir es mit Führung zu tun haben: Immer geht es um individuelle Verhaltensweisen von Menschen (nämlich den Führungskräften und den Mitarbeitern), immer geht es um Kommunikation, immer geht es um Macht- und Interessendurchsetzung, immer geht es um individuelle Grundüberzeugungen und Werte, die sich vor dem Hintergrund unserer jeweiligen Erziehung, unseres individuellen Sozialisationsprozesses, unserer seit Geburt gemachten individuellen Erfahrungen und gesammelten Eindrücke gebildet haben. Und immer geht es auch darum, wie gut wir dies alles in einer konkreten Situation parat haben und tatsächlich auch anwenden können. Und wir Menschen lernen offenbar nun einmal nicht aus den Erfahrungen, die andere Menschen gemacht haben, sondern immer nur aus den eigenen. Insofern bildet sich (nicht nur) jede  Generation ihre eigenen Überzeugungen  darüber, was gute Führung ist und wie das Ideal guter Führung aussehen sollte. Und selbst darüber gibt es ja nicht einmal innerhalb einer Generation eine gemeinsame Grundauffassung, geschweige denn einen inhaltlich abgestimmten Konsens.

In vielen Veröffentlichungen wird definiert, was der jeweilige Autor oder die jeweilige Autorin unter Führung versteht. Was sie jeweils konkret unter „guter“ Führung verstehen,  bleibt in der Regel im Dunkeln und ungeklärt. Stattdessen wird formuliert: „Weg vom Schmusekurs“ (so z.B. im DGFP – Expertenchat vom 05.11.2009) Als ob es ein solches Führungsverständnis als konsensfähiges Ideal oder auch nur als praktisches Verhaltensmuster jemals gegeben hätte. Oder, ein weiteres Beispiel, ebenfalls aus dem Expertenchat: „Bei Sturm und im schwierigen Fahrwasser brauchen wir keine Freizeitmatrosen, sondern „richtige“ Führungskräfte.“ Ja, wann sind Führungskräfte denn „richtige“ Führungskräfte. Das klingt ein bisschen so wie „Richtige Kerle braucht das Land!“ – Und was ist mit den Frauen? Nur nebenbei: Wenn wir tatsächlich in den letzten Jahren – also vor der Krise – nur „Freizeitmatrosen“ als Führungskräfte gehabt hätten, dann … Das mag man sich gar nicht ausmalen. Im Übrigen wird unseres Erachtens hier mit untauglichen Kategorien gearbeitet. Weil es weder um „richtige Kerle“ noch um „Freizeitmatrosen“ noch um „Schmusekurs“ geht.

Auf der anderen Seite, das nehmen wir auch wahr: Professionelle Führung (und wir werden gleich erläutern, was wir darunter verstehen), also professionelle Führung nimmt in der deutschen Wirtschaft ab. Zunehmens beobachten wir, dass Menschen als Führungskräfte eingesetzt werden, die davon nicht genug verstehen – schlimmer: die davon häufig  nichts verstehen wollen. Das war Anfang der 80er bis Ende der 90er Jahre nach unserer Beobachtung anders. Dort hatten sich eine Zeit lang durchaus „Profis“ – oder sagt man besser: Professionals – etabliert.

Aber nun zu der „professionellen“ Führung. Professionelle Führung verbindet aus unserer Sicht (auch hier wird wieder deutlich, dass es nicht um Objektivität geht, sondern auch wir nehmen ein hohes Maß an Subjektivität in Anspruch) die von der Rolle vorgegebene sachbezogene Aufgabe mit Menschlichkeit im Sinne des von Friedemann Schulz von Thun entwickelten Wertequadrats (vergleiche dazu nähere Einzelheiten unter: http://www.schulz-von-Thun.de). Konkret als Beispiel: Es gehört zum rollenspezifischen Aufgabenumfang eines Personalleiters, Kündigungen auszusprechen. Diese Aufgabe kann trotzdem in einer menschlich warmen, angemessenen und zugewandten Art ausgeführt werden – oder eben auch völlig anders. Gleichzeitig verlangt Professionalität die „doppelte Stimmigkeit“. Auch dies ist ein Begriff, den Friedemann Schulz von Thun geprägt hat. Doppelte Stimmigkeit als übergeordnetes Kommunikations- und Verhaltensideal. Doppelte Stimmigkeit heißt hier: sowohl persönlich authentisch als auch situativ angemessen zu sein. Als dritter Aspekt vervollständigt Metakommunikation die Professionalität von Führung. Damit ist gemeint, immer wieder mit den Mitarbeitern über die beziehungsmäßige Art der Zusammenarbeit zu reden: Kommunikation über die Art der Kommunikation. Das Gespräch über die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Damit sollten alle Führungskräfte Experten sein, nicht nur für ihr Sachgebiet, sondern auch Experte für die eigene Person, für zwischenmenschliche Vorgänge, für die Dynamik in Gruppen und Teamentwicklung, für strategische Planung und für Prozessmanagement.

Aber wir haben häufig Führungskräfte, die all das nicht sind, die durch die „3-S-Methode“ (Sein, Schein, Schwein) auf ihre Posten gekommen sind und die – wahrscheinlich wie ein Großteil der Menschheit – eben unfair, rachsüchtig, machtbesessen, egoistisch, hinterlistig, streitsüchtig, ignorant, unsicher und nur auf den eigenen Augenblicksvorteil aus sind. Und in den oberen Führungsetagen geht es in der echten Praxis um all diese Dinge – und nicht um Moral, Ethik, Werte oder Professionalität im oben beschriebenen Sinne. Da hilft es auch nichts, wenn einzelne Vertreter in Talkshows oder Hochglanzbroschüren das Gegenteil propagieren. Die Führungswirklichkeit wird in solchen Interviews nicht beschrieben. Auch diese Ausprägungen verstärken sich nach unserer Beobachtung. Die Schere zwischen dem, was nach außen hin dargestellt und was innen im Unternehmen tatsächlich gelebt wird, geht weiter auseinander. Führungskräfte scheinen immer stärker die (Selbst)Verantwortlichkeit von Mitarbeitern zu fürchten. Möglicherweise, weil sie dann hinterfragt werden und Angst haben, ihre individuellen Ziele nicht mehr so leicht – häufig auf Kosten oder zu Lasten ihrer Mitarbeiter – durchsetzen zu können. Und das ist offenbar das Schlimmste für Führungskräfte. Denn: Wir müssen ja weg vom Schmusekurs.

Das, was hier deutlich gemacht werden muss ist, dass auch dieses Verhalten von Führungskräften und Managern nicht ohne Kosten ist. Und auch nicht folgenlos. Fehlende Motivation, Dienst nach Vorschrift, Arbeit am unteren Limit, so dass man gerade nicht entlassen wird, fehlende Innovationen, größere Fehlerhäufigkeit, höhere Krankheitszeiten, schlechterer Service am Kunden, Präsentismus, Ausfälle durch Streiks, Lähmung durch die innerbetriebliche Krisenbewältigung, erhöhter Kontrollaufwand, Burn outs,  … Die Reihe ließe sich fast endlos fortsetzen. All dies sind Kosten, die tatsächlich entstehen: Ob Controller sie nun bemerken oder bewerten können oder nicht; ob Führungskräfte dies nun wahrhaben wollen oder nicht. Sie existieren trotzdem. Häufig werden sie aber  entweder  nicht einmal bemerkt oder aber verdrängt. Viele der obersten Führungskräfte einschließlich Vorstände verstehen von diesen Zusammenhängen leider zu wenig, nehmen sie nicht ernst oder – schlimmer – wollen sie gar nicht wahr haben, negieren sie einfach. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Anders sind die aktuellen Beispiele z.B. um Opel, Quelle oder Karstadt nicht zu erklären. Vielleicht gelingt es ja irgendwann, solche Kosten ins Bewusstsein zu rücken und zu akzeptieren, dass diese Kosten seriös nun einmal nicht bewertet werden können. Zu akzeptieren, dass diese Kosten trotzdem existieren und ernst genommen werden müssen. Würde man sie wirklich zahlenmäßig bewerten können:  Den Controllern würden die „Ohren schlackern“. Die Menschen in den Unternehmen sehen schon zu, dass sie wieder ins Gleichgewicht kommen und für sie Aufwand und Ertrag in einem einigermaßen ausgewogenen Verhältnis, in Balance zueinander stehen (Homöostaseprinzip nennt man das im Fachchinesisch).

Führung ist immer im Wandel. Muss im Wandel sein. Aber nicht vom Schmusekurs zum Hardliner. Wir haben weder das Eine noch wollen wir das Andere. Führung muss immer angepasst sein an die jeweiligen Situationen und an die unterschiedlichen Menschen, und vermutlich auch immer angepasst an die geltenden gesellschaftlichen Werte. Jedoch:  Immer im Blick behaltend und suchend (besser: findend) die Balance zwischen der rollenmäßigen Aufgabe und Menschlichkeit. Immer wieder auf dem Weg zur doppelten Stimmigkeit: der persönlichen Authentizität einerseits und der situativen Angemessenheit andererseits. Und immer wieder mit dem Mut zur Metakommunikation mit den Geführten. Und diese Art von Wandel müsste unseres Erachtens bei den obersten Führungskräften ansetzen. Nicht, weil sie der „Optik wegen“ mit eingebunden werden müssten, nein, weil es dort am nötigsten ist.  Nun sind wir keine Illusionisten und messen diesem Wunschdenken oder besser gesagt, diesem wünschenswerten Denken in der Realität nur geringe Chancen bei. Trotzdem – das ist unsere feste Überzeugung – nur dann werden wir Krisen wie die jetzige wirklich gut meistern.

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