Warum anonymisierte Bewerbungsverfahren fachlich unsinnig und administrativ ineffizient sind
Worum geht es?
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in Zusammenarbeit mit dem Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) ein Modellprojekt ins Leben gerufen, in dem es um anonymisierte Bewerbungsverfahren geht. Ziel soll es sein, Diskriminierungen bei der Personalauswahl zu verringern bzw. ganz zu vermeiden und die Akzeptanz für anonymisierte Auswahlverfahren in der deutschen Wirtschaft zu erhöhen. Dazu wurde von Krause, Annabelle / Rinne, Ulf / Zimmermann, Klaus F. „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“, IZA Research No. 27, August 2010 ein Projektbericht geschrieben, der hier abrufbar ist.
Dies Projekt geht von der Vorstellung aus, dass die Entscheidung, wer von den Bewerbern zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, ausschließlich auf der Grundlage eines entsprechend aussagekräftigen, standardisierten Formulars getroffen werden soll. Dieses Formular soll von jedem Bewerbern – idealerweise online im Internet – ausgefüllt werden. Weitere, nicht anonymisierte Unterlagen sollen im Vorfeld des Vorstellungsgespräches nicht eingesetzt werden. So wolle man dazu beitragen, dass die Auswahlentscheidungen „objektiv“ und ohne Diskriminierung von Bewerbern getroffen werden.
Alternativ sollen in eingereichten Bewerbungsunterlagen alle Hinweise, die auf bestimmte Merkmale der Bewerber hinweisen, durch eine „neutrale“ Stelle (im Projektbericht wird doch tatsächlich vorgeschlagen, dass die Anonymisierung durch einen Notar erfolgen solle – schon hier wird die Praxisferne der Autoren deutlich) oder durch das Sekretariat oder durch sonstige, mit der Auswahl nicht befasste Personen, geschwärzt werden. Bei diesen Merkmalen handelt es sich im wesentlichen um Foto, Geschlecht, Name, Nationalität, ethnische Herkunft, Familienstand, Behinderung.
Wollte man bei den eingereichten Bewerbungsunterlagen alle Hinweise auf die genannten Merkmale schwärzen, hieße dies, dass mindestens
- sämtliche Vor- und Nachnamen einschließlich der Geburtsdaten
- sämtliche personenbezogenen Artikel
- sämtliche Hinweise wie „Herr“ / „Frau“, „Mitarbeiterin“ / „Mitarbeiter“ etc.
- viele grammatikalische Satzkonstruktionen, die geschlechtsgebunden sind
- Beschäftigungszeiten bei Firmen in den Zeugnissen, Ausstellungsdaten von Zeugnissen, Daten von Schul- und Universitätsbesuchen
geschwärzt werden müssten. Das Ergebnis solcher Schwärzungen wären zum Stakkato mutierte Bewerbungen und Zeugniskopien.
Man würde – automatisch – vermehrt auf die Anzahl der einzelnen Berufsstationen schauen. Hieraus würden Hinweise auf Motivation, Flexibilität etc. abgeleitet werden, alles Merkmale, die im Auswahlverfahren eine Rolle spielen müssen. Es bliebe doch trotzdem nicht aus, dass die dann entscheidenden Personen gleichwohl versuchen, sich Vorstellungen von den Bewerbern und den Merkmalen zu machen, die nicht offen kommuniziert werden. Es ist zu vermuten, dass dies dann erst recht zu falschen Schlussfolgerungen und zu falschen Anreizen führen wird. Es gibt keinen überzeugenden Grund, auf die künftig zu anonymisierenden Merkmale auch in der Vorauswahl zu verzichten.
Sofern die Schwärzungen durch die Bewerber selber vorgenommen würden, könnte man nicht einmal mehr sicher sein, dass es sich überhaupt um ein Zeugnis (ein Dokument) des betreffenden Bewerbers handelte. Manipulationen wären Tür und Tor geöffnet. Ein Beitrag zu mehr Objektivität? Mitnichten!
Eine solche Anonymisierung führte zu weiteren Absurditäten: Ein Brief an den Bewerber oder die Bewerberin kann nicht mehr mit namentlicher Anrede formuliert werden. Wie sollte das aussehen? „Sehr geehrte Frau / sehr geehrter Herr,“? Wie soll die postalische Adresse geschrieben werden? Schon aus dem Nachnamen ist doch häufig auch auf die Herkunft (dann möglicherweise sogar mit falschem Ergebnis) zu schließen. Natürlich kann man dies alles mit ein bisschen Phantasie und entsprechend elektronischer Unterstützung organisatorisch bewältigen, aber mit welch künstlich aufgeblähtem Aufwand? Ein Paradebeispiel organisatorischer Ineffizienz!
Die Kommunikation zwischen Bewerbern und Unternehmen entwickelte sich zur Farce. Ich vermute, dass es dabei eher zu Antiselektionseffekten kommen wird. Unternehmen, die einen solchen Prozess nicht etablieren, werden bei vielen Bewerbern beliebter. Speziell bei solchen High-Potentials, die sich gerade aufgrund ihrer persönlichen Merkmale (und das können auch solche sein, die im Rahmen eines solchen Verfahrens gerade anonymisiert werden sollen!) als besonders geeignet für eine bestimmte Position empfinden. Diese Merkmale werden aber im anonymisierten Bewerbungsverfahren nicht validierbar abgefragt. Solche Kandidaten werden sich dann vermehrt bei solchen Unternehmen bewerben, die – legitimerweise – solche Merkmale noch einschätzen können – auch im Vorfeld. Dies könnte schnell dazu führen, dass Unternehmen, die ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren einsetzen, vermehrt Bewerbungen von Kandidaten „aus der zweiten Reihe“ erhalten.
Vorherige Telefonate mit Bewerbern zur Klärung entscheidungserheblicher Fragen könnten nicht mehr geführt werden. Schließlich könnte auch ein solches Telefonat Hinweise auf Geschlecht, Alter, Nationalität, Herkunft liefern. Auskünfte auf diese Art im Vorfeld von persönlichen Bewerbungsgesprächen einzuholen, gehört heute zum Standardrepertoire und könnte künftig nicht mehr realisiert werden. Dies grenzt m.E. ans Absurde und behindert die Personalauswahl in entscheidender und nicht zu tolerierender Weise.
Die wichtigsten Argumente gegen ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren liegen jedoch in dessen fachlicher Unsinnigkeit. Ein hoher Anteil der Eignung ergibt sich gerade aus dem Sozialverhalten. Dies kann nur und ausschließlich im persönlichen Kontakt erfahren werden, aber nicht durch anonymisierte Bewerbungen. Und die Merkmale sexuelle Identität, Religion oder sonstige Weltanschauungen sind doch auch in der Vergangenheit nicht Thema in Bewerbungsgesprächen gewesen. Damit waren sie auch schon früher keine Merkmale von und keine Kriterien in Personalauswahlverfahren. Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass so etwas in einer Stellenbeschreibung oder in einem Anforderungsprofil gestanden hätte.
Es geht bei der Personalauswahl doch gerade nicht darum, den fachlich Fähigsten oder die fachlich Beste auszuwählen. Vielmehr kommt es darauf an, den oder die Geeignetste/n zu finden. Dies ist eine wichtige Unterscheidung! Nicht immer ist der Beste auch der Geeignetste. Für die Antwort auf die Frage, wer geeignet ist, sind neben den reinen fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten auch noch ganz persönliche Merkmale wichtig, z.B. Teamfähigkeit, Führungsverhalten, Eigenmotivation, Konfliktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Bildung und berufliche Erfahrung allein reichen tatsächlich nicht aus, um geeignet zu sein, auch wenn es immer wieder naive Vertreter gibt, die dies anders sehen (aktuell z.B. der neue nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider zur Westdeutschen Allgemeinen „Wir werden … gucken, was passiert, wenn … allein Bildung und berufliche Erfahrung zählen“ – siehe: taz vom 22.07.2010). Ohne ein gewisses Maß an subjektiver Beurteilung, die wir auch mit noch so viel Anstrengung nie ganz aus unseren Köpfen werden vertreiben können, ist eine Entscheidung darüber, wer die oder der Geeignetste ist, gar nicht möglich. Diese subjektive Beurteilung ist notwendig. Sie ist elementar. Sie ist legitim. Sie ist human. Und sie ist zutiefst menschlich.
Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, sich bei der Personalauswahl für diejenigen Bewerberinnen und Bewerber zu entscheiden, von denen sie meinen, dass sie für diesen individuellen Betrieb geeignet sind und zu diesem Betrieb passen. Sie müssen – zumindest in gewissem Maße – auch zu den Persönlichkeiten passen, mit denen sie im Unternehmen künftig zusammenarbeiten werden. Am Ende dürfen wir nicht vergessen: In einem Betrieb arbeiten MENSCHEN und keine Qualifikationen! Die Arbeitszufriedenheits- und Konfliktforschung ist voll von Beispielen, welche negativen Auswirkungen es auf die Produktivität von Unternehmen und auf die Zufriedenheit von Mitarbeitern hat, wenn Menschen nicht miteinander auskommen und sich gegenseitig nur zu schaffen machen. Erfolgreiche Berufsarbeit, dafür sind nicht nur entsprechend gute fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. Vielmehr spielt dabei eine ganze Reihe persönlicher Faktoren eine entscheidende Rolle. So kann im Einzelfall auch die Einschätzung wichtig sein, wie ein neuer Mitarbeiter oder eine neue Mitarbeiterin mit dem vorhandenen Arbeitsteam zusammenarbeiten kann. Dieses Merkmal ist nicht nur ein sachlich wichtiges, sondern ein gesellschaftlich legitimes. Und diese Faktoren – ob uns das nun gefällt oder nicht – sind nun einmal nicht völlig unabhängig von kultureller Herkunft, von Alter, von sonstigen Wertvorstellungen, ja, vielleicht sogar auch vom Geschlecht. Und dies muss gar nicht zum Nachteil der vermeintlich Diskriminierten sein.
Mit Vielfalt in einem Unternehmen kann doch nicht ernsthaft nur die reine Ansammlung der hier in Rede stehenden äußeren Merkmale gemeint sein. Vielfalt orientiert sich doch nicht an solchen äußerlichen Attributen. Vielfalt ergibt sich: Aus unterschiedlichen Fähigkeiten, unterschiedlichen Erfahrungen und individuellen Einstellungen, aus den ganz spezifischen persönlichen Prägungen. Sie ergibt sich aus der Kultur einer Organisation, aus dem inneren Selbstverständnis eines Unternehmens und dessen Angestellten, aus der formalen und mehr noch aus der informellen Struktur einer Organisation, aus dem konkreten Verhalten ihrer Mitglieder untereinander. Natürlich nehmen unterschiedliche Menschen auch Einfluss auf die Kultur. Doch noch eines gehört dazu. Bei aller Vielfalt: Sie muss auch mit dem Unternehmenszweck, vielleicht sogar mit der vorfindbaren Kultur zusammenpassen. Überzeugte Atheisten im Kirchenbüro zu beschäftigen könnte zwar möglicherweise die Vielfalt erhöhen, der Kultur wäre es wahrscheinlich schon nicht mehr zuträglich und mit dem Sinn und Zweck der Organisation Kirche wäre dies schlechterdings nicht vereinbar.
Dass sich dieses Auswahlgeschäft durch anonymisierte Bewerbungen effizienter oder erfolgreicher gestalten ließe oder dass dies zu qualitativ besseren (welche Kriterien werden hier eigentlich angesetzt?) Ergebnissen führte, das ist m.E. eine realitätsferne Illusion und ein Beleg für die fehlende personalpolitische Kompetenz, mit der an ein solches Thema herangegangen wird. Ich will als Personalleiter bei der Bewerberauswahl nicht auf Schul- oder Universitätszeugnisse und auch nicht auf Arbeitszeugnisse verzichten. Sie sind die einzigen authentischen Belege für das, was die Bewerber bisher berufsmäßig oder ausbildungsmäßig geleistet haben. Sie beinhalten außerdem auch wichtige Angaben über das Arbeits- und Sozialverhalten von Bewerbern, auf die ich auch im Vorfeld eines Bewerbungsverfahrens nicht verzichten kann und will. Sie ergeben viele Anhaltspunkte für Themen in persönlichen Bewerbungsgesprächen. Nur auf der Grundlage eines – wie auch immer gestalteten – Formulars können Personalverantwortliche eben gerade keine Entscheidung über eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch fällen, jedenfalls keine, die professionellen Standards genügt. Und damit meine ich, dass bereits die Entscheidung, wer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, möglichst treffsicher auf das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle ausgerichtet sein muss. Dazu gehören dann aber alle Merkmale, die auch im späteren Verfahren zu beurteilen sind. Alles andere wäre Verschwendung von Ressourcen und unprofessionell. Und das Maß an Professionalität können nur die jeweiligen Personalverantwortlichen selbst bestimmen. Das möchte ich mir jedenfalls nicht vom Gesetzgeber vorschreiben lassen (und auch nicht von der Antidiskriminierungsstelle). Das ist auch meine persönliche und fachliche Verantwortung. Auf weitere, nicht anonymisierte Unterlagen kann auch im Vorfeld persönlicher Gespräche deshalb gerade nicht verzichtet werden. Anonymisierte Bewerbungsverfahren? Nein, dies ist nicht nur ein überflüssiger Schritt, es ist ein Schritt in die falsche Richtung!
Im übrigen wäre der Personalverantwortliche bei einem vom Bewerber selbst ausgefüllten Formular darauf angewiesen zu glauben, dass die Angaben dort alle richtig sind. Er hat keinerlei Möglichkeiten, diese Angaben auch nur ansatzweise zu verifizieren. Er könnte nicht einmal ein Gefühl dafür entwickeln, ob die vom Bewerber behaupteten Kenntnisse und Fähigkeiten und Ausbildungen den tatsächlichen entsprechen. Er müsste seine Entscheidung über die Einladung zu einem Gespräch also aufgrund nicht validierter, ja, nicht einmal validierbarer Daten treffen. Dies wäre ein weiterer unhaltbarer, nicht zu akzeptierender Zustand.
Es ist doch eine irrige Vorstellung zu glauben, dass die Entscheidungen von Personalfachleuten für etwaige Bewerbungsgespräche ausschließlich auf möglichst objektiven Merkmalen basieren, wenn den Personalverantwortlichen in den Unternehmen bestimmte Merkmale (und Unterlagen) der Bewerber vorenthalten werden. Was – mit Verlaub – soll denn an der „Selbstauskunft“ von Bewerbern – auf die eine solche Vorgehensweise letztendlich ja hinausliefe – denn „objektiv“ sein? Weder die Merkmale an sich sind es (die kommen ja gerade durch eine werteorientierte Konsensentscheidung zustande) noch die – sehr subjektiven – Angaben der Bewerber. Ja, es ist nicht einmal sichergestellt, dass die Angaben tatsächlich von den Bewerbern selbst stammen. Es ist doch auch heute üblich, dass Bewerber ihre Angaben über Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen „schönen“ und „aufwerten“. Da hat man allerdings das Korrektiv der Originalzeugnisse und die Möglichkeit der telefonischen Nachfrage. Bei der anonymisierten Bewerbung fehlt dies alles. Hier geht schon wieder eine der Grundannahmen des Projektes von falschen Voraussetzungen aus. Oder ist es Absicht und man will uns lediglich weismachen, dass eine solche Vorgehensweise „objektiv“ sei, um ein beabsichtigtes politisches Ziel zu erreichen?
Außerdem ließe sich die Anonymität lediglich bis zum ersten Bewerbungsgespräch aufrecht erhalten. Spätestens dann wären alle geschwärzten Attribute, die „Geheimnisse“, gelüftet. Und dann …?
Ich plädiere also nachdrücklich dafür, den Bewerbern die Möglichkeit zu belassen, ihre individuellen, unverwechselbaren Einmaligkeiten der eigenen Person von Beginn des Auswahlprozesses an zur Geltung zu bringen und für sich in die Waagschale werfen zu können. Solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünsche ich mir, die in voller Selbstverantwortung zu sich stehen. Diese bringen ein Unternehmen weiter, nicht diejenigen, die meinen, sich hinter einer anonymisierten und gesichtslosen Gleichmacherei verstecken zu müssen.
Anonymisierte Bewerbungen verbessern weder die Auswahlentscheidung noch verhindern sie Diskriminierungen. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, Bewerbungen nicht zu berücksichtigen, die aufgrund ihrer in den formalisierten Verfahren nicht erfassten Fähigkeiten, Kenntnissen und Eigenschaften besonders geeignet wären. So liefern anonymisierte Bewerbungsverfahren – außer einem erheblichen, zusätzlichen administrativen Aufwand – lediglich ein vordergründiges, fadenscheiniges Alibi für die öffentliche Diskussion, um einen bestimmten politischen Willen durchzusetzen.
Als Ziel einer solchen Studie geben die Initiatoren immer wieder an, und viele Zeitungsberichte übernehmen dies dann unreflektiert (beispielsweise die Süddeutsche Zeitung am 06.08.2010, die taz am 22.07.2010 und Der Tagesspiegel am 02.08.2010 – deutlich differenzierter dagegen: Hamburger Abendblatt am 11./12.09.2010), die Akzeptanz für ein solch anonymisiertes Bewerbungsverfahren zu erhöhen. Es kann doch nicht im Kern darum gehen, lediglich ein bestimmtes Verfahren durchzusetzen. Viel wichtiger wäre es m.E., mehr Unternehmen dafür zu gewinnen, eine ggf. bestehende Diskriminierung tatsächlich zu verringern. Dieses Ziel ist ja richtig und ist nachhaltig zu verfolgen. Dies muss aber in den Köpfen passieren. Und dazu bedarf es anderer Maßnahmen. Der mit dem Projekt eingeschlagene Weg führt in die Sackgasse.
Wer den eingangs zitierten Projektbericht studiert, wird trotz der vielfältigen Belege, die die Autoren anführen, schnell auf so manche Unterstellung, naive Grundannahme, auf Ungereimtheiten und methodische Schwächen kommen, die im Report selbst zum Teil eingeräumt werden. Allerdings gehen die Autoren über diese Ungereimtheiten – offenbar ganz pragmatisch – mit einer gewissen Nonchalance hinweg. Vielleicht, um die politisch angestrebten Ergebnisse nicht zu gefährden.
Insofern wäre es interessant, nebenbei zu untersuchen, inwieweit die Initiatoren und Verfechter von anonymisierten Bewerbungsverfahren vielleicht selbst mit Vorurteilen behaftet sind und ihrerseits möglicherweise einen ganzen Berufszweig (nämlich den der Personaler) diskriminieren und einem Generalverdacht aussetzen. Leider gibt es für diese Annahme in dem Projektbericht eine Reihe von Hinweisen. Personalfachleute werden dargestellt als Menschen, die ihre Auswahlentscheidungen im wesentlichen aufgrund ihnen nicht bewusster Vorurteile treffen, orientiert an den – künftig zu anonymisierenden – äußeren Merkmalen und ohne Bezug auf die fachliche und persönliche Qualifikation und ohne Bezug auf das Anforderungsprofil der jeweiligen Stelle. Dies ist – zumindest bei professionell arbeitenden Personalleuten, und derer gibt es eine ganze Menge – eben gerade nicht der Fall. Hier fallen die Initiatoren selbst auf ein weiteres Vorurteil rein. Die wenigen Untersuchungen, die sie dazu anführen, scheinen alles andere als repräsentativ zu sein. Ohne Informationen über die tatsächlichen Gründe einer Ablehnung im Auswahlverfahren im Einzelfall zu haben, lassen sich – nur aufgrund statistischer Analysen – keine validen Aussagen über tatsächlich stattfindende Diskriminierungen treffen. Insofern verlieren die Studien an Validität und damit an Überzeugungskraft.
© Claus-Peter Manzel 10/2010